Zurück

Wermutwolf

Wermutwolf

Wermutwolf

Urban Pro
Ort Zürich
Gegründet 2023
Follower 2
Bier-Ideen: Frauentragen («Eukonkanto»)

Bier-Ideen: Frauentragen («Eukonkanto»)

Sicherlich einer der verrücktesten Wettbewerbe, der auf diesem Planeten existiert, findet das Frauentragen jeden Sommer in Finnland statt, das sogenannte «Eukonkanto», in dem dutzende Paare gegeneinander antreten. Der Mann trägt die Frau über eine Distanz von 253 Metern, drei Hindernisse überwindend, für den Titel und den grossen Preis des Gewinners: Die Menge Bier, die dem Gewicht der Frau entspricht! Dafür wird die Frau auf eine Wippe gelegt und mit Bier aufgewogen.Der Contest gehe auf einen Eingeborenen aus dem 19. Jahrhundert zurück, Herkko Ronkainen, der zwar ein voll sympathischer Typ gewesen sei, aber trotzdem mit seiner Diebesbande Frauen aus benachbarten Dörfern geraubt habe. Aber nun gut, Herkko sei von imposanter Statur und attraktivem Äusseren gewesen. Ausserdem sei seine Ehefrau eine echte Nervensäge gewesen. Also alles erklärbar, verständlich, haha …Ex-Champion John erklärt den Contest.Dieses Jahr läuft Eukonkanto am Wochenende vom 5./6. Juli, und ihr könnt euch noch immer völlig unkompliziert und günstig anmelden. Es gibt bspw. auch einen Staffellauf, wobei bei der Übergabe der Frau ein Bier geext werden muss. Der Mensch ist widersprüchlich. Die nordischen Länder sind extrem alkoholkritisch – aus vermutlich gutem Grund, da man dort in den Wintermonaten wenig Sonnenlicht abkriegt, was wohl zum ausgiebigen trinken verführen kann – aber wenn es sein muss, für Ruhm und Ehre, dann muss es sein …John erklärt die drei verschiedenen Trage-Stile.Ich befinde mich noch immer in meiner Alkoholdiät-Phase und bin noch nicht fit genug, um in diesem toughen Wettbewerb bestehen zu können. Also fragte ich den Mann, der unsere Sprache spricht und letztes Jahr den sensationellen vierten Rang erzielt hatte, indem er seine Partnerin Alexandra geschultert hatte, wie das alles so ist: Tilmann Schwab aus Freiburg. Till betreibt die Mountainbike-Schule MTB-Skills, ist insofern fit wie ein Turnschuh und hat die Strecke in lediglich 1 Minute 15 Sekunden geschafft.Till und Alex am Ort des Geschehens in AktionJeder seiner Kunden bekommt ein Willkommenspaket, unter anderem mit einer Flasche Radler oder Pils von der Brauerei Ganter, jeweils alkoholfrei, zur Begrüssung. Sie düsen auch mit dem Ganter-Kastenrad durch die Gegend, um einzukaufen oder das Kind in die Schule zu bringen. Warum ich das erwähne: Irgendwann werde ich mir eine Truppe zusammenstellen, die mit Ganter’s Bier Bike die Strassen von Freiburg unsicher machen wird. Und das wird ein glorreicher Spass-Tag sein! Nun aber zum Interview:WMW: Du/Ihr scheint ja mehr auf Sport denn auf Alkohol abzufahren. Dieser Contest wirkt aber wie aus einer typischen Bier-Idee entstanden. Wie seid Ihr darauf gekommen, dort mitzumachen?Till: Wahrscheinlich ist der Contest wirklich aus einer Bierlaune raus entstanden. Bei uns war es etwas anders. Alex und ich sind sehr unterschiedlich in unserer Urlaubsgestaltung. Alex reist gerne und schaut sich neue Orte an, ich hingegen brauche einen Grund (i.d.R sportliche Events) um irgendwo hinzufahren. Irgendwann habe ich zufällig mal ein Video vom Wife-Carrying gesehen und fand es eine lustige Sache. Habe dann vorgeschlagen, da mitzumachen. Ich glaube, Alex dachte erst, es wäre ein Witz, aber ihr wurde dann doch recht schnell klar, dass das mein voller Ernst ist.WMW: Gedenkt Ihr vielleicht, auch künftig wieder teilzunehmen?Till: So gut wie beim ersten Mal wird es wahrscheinlich nie wieder. Daher wahrscheinlich eher nicht.Die Zusammenfassung vom letztjährigen ContestWMW: Habt Ihr finnische Bekannte?Till: Nö. Also ich kenne ein paar Leute vom Radfahren, die aus Finnland kommen. Aber die hatten mit der Aktion nichts zu tun.WMW: Offenbar ist der Siegerpreis die Menge Bier des Gewichts der Frau, die man getragen hat. Was hättet Ihr damit gemacht, wenn Ihr gewonnen hättet? Weisst Du, was für Bier zu gewinnen war?Till: Tatsächlich haben wir auch Bier gewonnen. Aber bei Weitem nicht so viel. Unseren Gewinn haben wir mit den anderen deutschen Teilnehmern geteilt. Das Bier war «OLVI III». War ok. Süffiges finnisches Bier. Und wahrscheinlich waren wir die einzigen Menschen in der Geschichte, die Alkohol aus Skandinavien nach Deutschland exportiert haben.Eine kürzere Version von letztem JahrWMW: Das Bier wäre wohl nicht so meins, ich mag eher IPAs, und auch auf Untappd ist die Bewertung des «OLVI III» mit einer Gesamtnote von 2,5 eher bescheiden. Aber es hat offenbar bayrischen Hopfen mit drin.Der Wettkampf sieht ja schon etwas halsbrecherisch aus, trotz Behelmung, und auch das mit dem Wassergraben … Und okay, ich hätte wohl auch nicht die Fitness dafür. Jedenfalls: Hattest Du da keine Bedenken?Till: Nur Mut. Ich hatte hauptsächlich Angst um meine Knie, Alex wahrscheinlich um Leib und Leben. Man kann schon gut aufeinander aufpassen, wenn man das möchte. Uns lag viel daran, heil ins Ziel zu kommen und so sind wir das auch angegangen. Der vierte Platz war dann eher überraschend. Prinzipiell kann man aber jeden ermuntern, es mal zusammen zu versuchen!Till und Alex in SiegerposeDie getragene Person muss über 18 sein und mindestens 49 Kilogramm wiegen. Das wird vor dem Start tatsächlich auch überprüft. Wer unter 49 Kilogramm wiegt, bekommt eine Gewichtsweste. Zusammen sein muss man nicht. Man kann also auch die Nachbarin nehmen. Oder deinen Nachbarn. Gleichgeschlechtliche Paare sind ebenfalls erlaubt und haben in einer anderen Disziplin auch teilgenommen. Theoretisch darf auch die Frau den Mann tragen. Wobei das bei uns eher nicht infrage kam bei ca. 30 cm Grössenunterschied.WMW: Ich war kürzlich an einem grandiosen Konzert einer finnischen Sängerin, Ina Forsman, die uns erzählte, wie extrem kurz die finnischen Sommer seien. Was waren denn das circa für Temperaturen, Verhältnisse?Die finnische Blues-/Soul-/Funk-Göttin hat Bubikon so richtig gerockt!Till: Sommer in Finnland ist an sich super. Wir hatten die ganze Zeit um die 25 Grad. Nur am Wettkampftag waren 11 Grad und Regen. Tolles Land. Kann man empfehlen. Uns hat es sehr gut gefallen.WMW: Es scheint ein ziemliches Volksfest zu sein. Wie habt Ihr das erlebt? Und wie lange wart Ihr dafür dort? Gibt es ausser dem Hauptanlass noch ein RahmenprogrammTill: Es ist tatsächlich ein Volksfest. Da war der ganze Ort vertreten und wahrscheinlich auch darüber hinaus. Der Ort, in dem das stattfindet, ist mitten im Nirgendwo. Es gab im Wife-Carrying allein drei Disziplinen. Staffellauf, Sprint und der Hauptlauf, an dem wir teilgenommen haben. Beim Staffellauf gibt es vier Träger, welche die gleiche Person immer ein Stück tragen müssen. Bei der Übergabe muss ein Bier geext werden, bevor es weitergeht.Beim Sprint ist die Strecke deutlich kürzer. Ich glaube nur etwa die Hälfte. Da ist der Wassergraben das einzige Hindernis. Zu Beginn der Veranstaltung laufen ausserdem alle Teilnehmer mit Ihren Länderflaggen ein. Weltmeisterschaften eben. Als Nebenwettbewerb gab es ausserdem Milchkannenwerfen. Abends Party mit finnischen Bands. Ausserdem gab es einen kleinen Markt mit Essensständen und Merchandising. Wir waren insgesamt zweieinhalb Wochen unterwegs, haben einen Europa-Roadtrip mit unserem Camper dorthin gemacht. Ziel war der Wettbewerb. Vor Ort waren wir dann nur zwei Nächte.Nur ein albernes KI-Bild zur Auflockerung …WMW: Habt Ihr für diesen Anlass speziell trainiert?Till: Also verglichen mit anderen Teilnehmern nicht wirklich. Manche waren schon sehr krass unterwegs. Inklusive nachgebauten Parcours im Garten. Ich habe Alex einige Male hier bei uns einfach um den Block getragen. Ausserdem habe ich einige Treppenläufe gemacht. Hindernisse haben wir zweimal abends auf dem Spielplatz um die Ecke und den Wassergraben einmal zehn Minuten auf unserem Trip dorthin in der Ostsee trainiert. Ach ja und ganz am Anfang haben wir verschiedene Tragetechniken in der Küche getestet. Aber da hat sich schnell der «Estonian Carrier» als am sinnvollsten herauskristallisiert. Das ist auch die, welche 90 % der Teilnehmer anwenden.Und um auf das problematische Verhältnis der nordischen Länder mit Alkohol zurückzukommen, hat mir Till auch noch das Folgende erzählt:Die skandinavischen Länder sind, was Alkohol angeht, ja das Saudi-Arabien auf dem europäischen Kontinent. In den Regeln beim Staffellauf steht Bier. Allerdings muss dafür wohl eine umfassende Prüfung der Teilnehmer sowie eine sehr umfangreiche Genehmigung beantragt werden. Das hat zumindest letztes Jahr nicht geklappt. Wie es davor war, weiss ich nicht.Wir haben nach der Siegerehrung angefangen, das gewonnene Bier zu trinken und wurden direkt aus der Halle geworfen. Nur genehmigter Alkohol darf getrunken werden und das ist das vom Ausschank. Alles andere ist strengstens verboten, selbst wenn es vom Veranstalter kommt. Unser restliches, gewonnenes Bier wurde vom Security-Mann bis zu unserem ca. 1 km entfernt geparktem Auto getragen und dort auf den Sitz gestellt. Erst dann durfte ich es wieder berühren. Glaubt einem keiner hier, aber so geht das dort ab.Und wieder ein KI-Bild…Das Konzept dieses seltsamen Wettkampfs hat sich mittlerweile rund um die Welt verbreitet, auch UK (seit 2008), Indien, China (August), Australien (September, seit 2005), Belgien (September), Deutschland, USA (Oktober, seit 1999) und Hongkong veranstalten das Frauentragen, und dessen Gewinner können sich dann im Hauptwettbewerb in Finnland messen.Von Schweizern scheint weit und breit keine Spur zu sein. Na, wer wagts?Und jetzt, wo der Textlänge geschuldet sowieso nicht mehr viele am Lesen sein dürften, noch ein Addendum zum Austragungsort: Sonkajärvi. Ich fand es interessant, dass ein eher beschauliches Dorf fern der Ballungszentren, dessen drei grösste Arbeitgeber gemäss Wikipedia die Gemeinde, ein Gefängnis und ein Fertighaushersteller sind, drei Gemeinde-Söhne/-Töchter nennt, die mit markanten Geschichten daherkommen – wie auch unser sanfter Rowdie vom Beginn der Story, der Frauenräuber Herkko Ronkainen.Beim roten Ortspunkt wurden Frauen geraubt und werden nun Frauen auf Händen, oder sagen wir, auf Schultern getragen…Da wäre einerseits Päivi Räsänen, die finnische Innenministerin der Christdemokraten von 2011 bis 2015. Bevor sie in dieses hohe Amt gewählt wurde, sagte sie in einer Talkshow zum Thema im finnischen Fernsehen, dass ihrer Meinung nach die Homoehe nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar sei und gleichgeschlechtliche Paare schlechtere Eltern seien. Dies brachte eine beispiellose Lawine von Kirchenaustritten ins Rollen.Dann gibt es andererseits den Schauspieler Jussi Vatanen. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich mich im finnischen Filmschaffen sehr gut auskennen würde. Doch war es erst gerade im letzten November gewesen, als ich Aki Kaurismäki’s Film «Fallen Leaves» im Kino gesehen hatte – worin Jussi die Hauptrolle spielt. Und ich fand den Film absolut grossartig! Natürlich muss man Kaurismäki’s lakonischen Stil mögen. Der Film gewann den Jury-Preis am Festival von Cannes und war bei den Golden Globes für den besten ausländischen Film nominiert.Und last but not least – sorry, ich bin halt ein Die-Hard-Eishockeyfan – wurde auch Ilkka Pikkarainen in Sonkajärvi geboren. Der Flügelspieler mühte sich, wie so viele andere Talente auch, in den Niederungen der nordamerikanischen Ausbildungsliga AHL ab – ganze vier Jahre lang. Von den unendlich langen Busfahrten kann so mancher Spieler ein Klagelied anstimmen. Doch wer sich dort durchbeisst, kommt manchmal in den Genuss, in der mit riesigem Abstand besten Liga der Welt auflaufen zu dürfen, der National Hockey League (NHL) – auch «The Show» genannt.Und Ilkka erreichte diesen Traum am 5. Oktober 2009 in New Jersey, als er bei den Devils einen Einjahresvertrag bekommen hatte und gegen die New York Rangers sein erstes NHL-Spiel absolvierte – mein Lieblingsteam. Seinem ruppigen Spielstil gemäss wanderte er schon nach knapp sechs Minuten erstmals auf die Strafbank. Die Rangers gewannen das Spiel 3:2. Aktuell flogen die Rangers in den Eastern Conference Finals gegen die hammerharten, mühsamen Florida Panthers raus, im erfolglosen Bestreben den ersten Stanley Cup-Sieg seit genau 30 Jahren feiern zu können – die Trophäe, die in der gesamten Welt des Sports am schwierigsten zu gewinnen ist. Vielleicht klappts ja nächstes Jahr. Let’s go Rangers!Für Ilkka blieb es bei diesem einem Jahr in der «Show». Ende 2011 nahm er dann noch mit Wolfsburg am Spengler Cup teil. Alle drei Personen hatten also quasi ihre warhol’schen 15 Minuten Ruhm. Doch wird Sonkajärvi wohl primär immer wegen des schrägen, unterhaltsamen Frauentragens im kollektiven Bewusstsein existieren. Gut so. Schräge Ideen sind die Cocktailkirschen auf ansonsten manchmal faden Drinks.