Katastrophen-Jetsetten, ein angebissener Apfel und Marihuanaplantagen

Die Zeit zerinnt. Das tägliche Geschehen auf unserem Planeten rennt an mir vorbei, schneller als Usain Bolt die 100 Meterstrecke läuft. Mitunter Schuld, so denke ich, ist das mediale Katastrophen-Jetsetten. Die Probleme von heute sind schon morgen veraltet, ein Krisenherd jagt den nächsten und unsere Medien sind immer mittendrinn; direkt vom Platz des Geschehens kommentieren sie die leidvollen Ereignisse, als wären es Sportwettkämpfe. Wenn ich meine TEXTSTRANGuliert Wochenrückblicke, die erst 2-3 Wochen alt sind, nochmals durchlese, da fällt es mir jeweils auf: wow, Kinnlade runter, da lese ich Dinge, die geschahen gefühlt im letzten Jahrhundert. Die Medien lieben den Katastrophen-Jetset und sind wahnsinnig schnell wieder gelangweilt. Beispiel gefällig? Was läuft eigentlich in der Türkei, gab es da nicht erst noch einen riesigen Volksaufstand? War da tatsächlich von heute auf morgen Schluss? Demonstrieren die Menschen in Istanbul gar nicht mehr? Könnte es sein, dass da im Nachhinein sogar noch Menschen von der Regierung für die Revolte abgestraft wurden? Wie ist die Stimmungslage bei der Oppositionsbewegung? Ist überhaupt noch irgendein Reporter am Bosporus unterwegs? Ich weiss es nicht und die News-Zeitungen scheint es nicht mehr zu interessieren. Wie ergeht es Libyen? Wie entwickelt sich Tunesien als junge Demokratie? Geht der Aufbau im Irak vorwärts? Wurden die Bäume für das Deutsche-Bahn-Projekt Stuttgart 21 am Stuttgarter Bahnhof nun gefällt oder nicht? Sind die Probleme in Fukushima behoben? Ganz ehrlich: Wen interessiert es? Unsere Zeitungen, die Katastrophen-Jetsetter, zumindest nicht. Dann doch lieber Bühne frei für den neuesten Konflikt: Syrien. Dazu gibt’s dann in den Onlineausgaben einer jeden Tageszeitung ein umfangreiches Themendossier, Newsticker mit brachialen Statusmeldungen, animierte Weltkarten, Umfragen und Quizspiele. „The Show Must Go On“, sang bereits Freddie Mercury. Wie Recht er damit hatte. Jetzt könnt Ihr Euch mal vorstellen, wie frustrierend meine Arbeit als Wochenrückblick-Kolumnist ist – ich weiss bereits jetzt, dass diese hier niedergeschriebenen Worte in ein paar Tagen niemanden mehr interessieren. Gut, immerhin lesen es heute und morgen Tausende bzw. Abertausende, aber danach werden auch die heutigen Sätze in der Mülltonne der Vergessenheit landen. Spürt ihr‘s, da versumpft einer im Selbstmitleid. Aber aufgeben? War nie meine Stärke. Sondern meine Schwäche.

Anfang Woche traf mich eine Meldung wie ein Hammerschlag. Wumm – direkt auf meinen Schädel. Brumm. Brumm. Eine Grausamkeit mit persönlichem Bezug überschattete den Montag: Spion-Storch nach Freilassung aufgegessen. Nicht, dass er zu mir unterwegs war, zum Glück nicht, aber mein Familienwappen wird von diesem edlen Tier geschmückt. Hey, lasst doch das gute Tier in Ruhe! Aber was geschah denn eigentlich? In Ägypten wurde tatsächlich ein Storch wegen Spionage-Verdacht verhaftet. Was denken die? Haben die das Gefühl, dass Störche die neue Geheimwaffe der Muslimbrüder sind? Oder dass es eine gut getarnte NSA-Drohne war? Ach papperlapapp, die NSA züchtet keine Störche, die sind damit beschäftigt die Welt auszuhorchen. Wir lesen diese Woche, dass sie sich in die SWIFT-Zentrale reingehackt haben, sowie den staatlichen brasilianischen Ölkonzern und Google ausspähten. Google. Lach. Lach. Da stellt sich die Frage, wer war zuerst: das Huhn oder das Ei? Generell sollten einen solche Meldungen schockieren, weltweite Proteste auslösen und ein diplomatisches Gewitter auslösen. Aber in diesen Tagen sind das schon fast nur noch Randnotizen – die USA denkt sich wohl: Ist der Ruf erst ruiniert, schnüffelt es sich ganz ungeniert. Meine liebe NSA, diese Woche schafft ihre es nur knapp nicht, als meine persönlichen Helden gekürt zu wenden. Ich vergebe die Ehre doch lieber an eine andere Firma, nämlich an eine Schweizer Firma namens Swiss Space Systems. Die will im Jahr 2018 einen Weltraumstaubsauger, den Cleanspace One, ins All befördern. Aber wieso muss denn der Weltraum gereinigt werden? Nun, weil es der Mensch in kürzester Zeit geschafft hat, über 670‘000 Schrottteile im Universum liegenzulassen, sozusagen universales Weltraum-littering. Ob Cleanspace One gleich noch ein paar NSA-Satelliten wegputzen könnte? So wie die Ägypter den Storch weggeputzt haben. Sehen Sie, den Storch haben sie bei all diesen Meldungen bereits wieder vergessen. Der war nur in ihrem Millisekunden-Kurzzeitgedächtnis und das, obwohl er mein Wappentier ist. Der arme Storch, der wurde auf jeden Fall vom Verdacht der Spionage freigesprochen, das mitgeführte GPS-Tracking Gerät diente nur wissenschaftlichen Zwecken. Doch sein Glück war von kurzer Dauer, schon kurz nach der Freilassung aus der Haft holten ihn die Nubier vom Himmel – peng – und verspeisten ihn. Die ägyptische Naturschutzorganisation NCE protestierte nicht dagegen, denn schliesslich würden die Nubier Störche schon seit Tausenden von Jahren essen. Ich finde das nicht in Ordnung, Wappentiere sollten unter Naturschutz gestellt werden. Doch diese Woche sorgte noch ein anderes Lebensmittel für Gesprächsstoff: der Apfel. Apple präsentierte diese Woche nicht nur ein neues iPhone sondern gleich deren zwei. Die heissen 5x und 5y. Oder 5m und 5r? Egal. Das eine der beiden neuen, das 5p, nennen sie ein Günstig-iPhone, obwohl es fast den gleichen Preis hat wie das andere, das 5f. Alle sind enttäuscht und Apple versteht die Welt nicht mehr. Aber, aber, mein Lieber Herr Tim Cook, wenn sie in einen Früchtemarkt einkaufen gehen, dann wollen sie doch für einen angebissenen Apfel auch nicht den fast identischen Preis wie für einen unversehrten bezahlen? Nun habe ich das eigentlich grosse Thema dieser Woche erfolgreich umschifft. Syrien. Und ich will auch gar nicht näher darauf eingehen. Nur so viel: Setzt euch doch einfach mal alle zusammen und diskutiert das Ganze auf vernünftiger Ebene aus. Findet eine Lösung und in Zukunft könnte wieder jeder in Frieden seinen Alltag zelebrieren. So regle ich die Dinge mit meinen Mitmenschen, und ich bin wohlgemerkt nicht mal ein Berufsdiplomat. Vielleicht würde es den Herren helfen, das Ganze ausserhalb der Krisenregion zu besprechen, auf neutralem Boden, zum Beispiel in Jamaika. Dort gäbe es auch noch interessante Teambuilding Aktivitäten. Seit neuestem kann man auf der Karibikinsel Marihuanaplantagen besichtigen – Probekiffen inklusive. Obama, Assad und Putin könnten zusammen eine Friedenspfeiffe mit etwas Pineapple Skunk rauchen. Und alles wird gut, oder einfach vergessen. Nächste Woche weiss sowieso niemand mehr was diese Woche geschah. Et maintenant, wünsche ich Euch allen, meinen tausenden von Lesern, ein buen fin de semana und vergesst die Störche nicht.

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